Mittwoch, 6. Januar 2016

Jonathan Franzen: Unschuld

Das neueste Werk von Jonathan Franzen heißt im Original: Purify. Also Reinheit, etwas was schon in Richtung Unschuld geht, aber doch einen anderen Schwerpunkt setzt. Man merkt dem über 800seitigen Werk an, dass Franzen schreiben kann, das er sich darauf versteht große Geschichten zu erzählen. Der Hauptplot des mehrere Jahrzehnte umfassenden Handlungsrahmens spielt mit mehreren Familiengeschichten bzw. –tragödien. Die „gute, alte“ DDR, die USA, ein Milliardär, die Stasi, sexuelle Obsessionen bis hin zur vollständigen Unterwerfung, Internet, Whistleblower und ein Mord, der ihre Täter nie mehr loslassen wird, bilden die Zutaten, aus denen der Autor sich nach Lust und Laune bedient. Man hätte mit diesen Zutaten einen richtig spannenden Thriller schreiben können, aber das hat Franzen nicht getan.
Seine Themen sind für mich die beiden folgenden. Zuerst dass das Schicksal einfach passiert. Obwohl eine der Hauptfiguren fest an die Vorhersehung glaubt, zeigt uns der Autor, dass in dem von ihm geschaffenen Universum, letztendlich der Zufall einer Begegnung, alles in Gang setzt. Wäre sie an der einen Ecke anders abgebogen, dann wäre all das niemals passiert. Die zweite ist, dass Kinder irgendwie immer wieder das Leben ihrer Eltern wiederholen, ein Thema das Franzen anscheinend gerne verarbeitet. Dabei scheint es egal zu sein, wie lange Kinder versuchen ganz anders zu werden, als ihre Eltern, am Ende gewinnen die Gene und die Erziehung, die uns unsere Eltern mitgeben. Die beiden Aussagen widersprechen sich anscheinend, aber eigentlich ergänzen sie sich.
Die beiden Mütter, die die weiblichen Hauptrollen spielen sind schräg, äußerst schräg! Kaputt und nicht fähig aus ihrem Leben etwas zu machen. Dabei sind sie in ihrem jeweiligen System privilegiert, die eine Tochter eines Milliardärs und die andere Ehefrau eines Mitglieds im Zentralkomitee der DDR. Sozusagen auf Rosen gebettet. Die Männer eher besser als die Frauen, die meisten jedenfalls. Natürlich muss der Antiheld der sein, der aus der ehemaligen DDR kommt, ein Brutus voller Strahlkraft doch mit einem finsteren Kern, der alles droht zu verschlingen. Der Antipol wird von dem jungen Mädchen besetzt, die den Namen Purify trägt. Sie wird zur Nemesis des bösen Wolfs und trägt damit ihren Namen zu Recht?!?
Franzen ist ein modernes Märchen gelungen, das in manchen Stellen eine Kürzung gut vertragen hätte. Ein Roman im besten Sinne des Wortes. Wer Spannung und schnelle Entwicklungen liebt, wird mit diesem Buch nicht bedient werden, der sollte es nicht lesen. Wer seine Freude daran hat, wie die Dinge sich langsam entwickeln und erst im letzten Viertel zu erfahren wie all die Figuren zusammen hängen, der wird in diesem Roman reichlich davon finden.
Fazit: Gut erzählt, zum Teil etwas langatmig und manchmal zu vorhersehbar nimmt einen der Autor mit auf eine Reise, die bei weitem nicht für alle Protagonisten ein Happy End bereithält.

Erschienen im rowohlt Verlag
ISBN: 978-3-498-02137-5

Bewertung mit gutem Willen gerade noch 4 von 5 Büchern

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Sonntag, 3. Januar 2016

Michel Houellebecq: Unterwerfung

Das Buch Unterwerfung wurde in den Medien ja schon viel besprochen und erwähnt und das einzige, was mir in Erinnerung geblieben ist, dass es Islamophob sein sollte. Da ich mir gerne eine eigene Meinung bilde, habe ich jetzt im Buchladen meines Vertrauens zugegriffen und das Werk gekauft und gelesen.

Das Buch spielt in naher Zukunft und handelt vom Literaturwissenschaftler Francois, der in Paris lebt und lehrt und ein sich zutiefst selbstbemitleidender, innerlich vereinsamter Mensch ist. Er hat sich seine akademischen Meriten in einer Dissertation über den französischen Beamten und Schriftsteller Joris-Karl Huysmans erworben. Ironischer weise stellt Houellebecq seinen Protagonisten genauso da, wie Huysmans gelebt hat. Francois erlebt die Wahl des ersten moslemischen Präsidenten Frankreichs und wie die Gesellschaft sich deswegen wandelt. Frauen werden aus dem Staatsdienst entlassen, da sie sich um die Familie zu kümmern haben, die Kleidung wird züchtig, der Minirock zum Leidwesen vieler Männer verboten. Die Saudis finanzieren die französischen Eliteuniversitäten, damit ein Weltbild gemäß ihrer Weltanschauung gelehrt wird und alle Lehrkräfte, die nicht zum Islam konvertieren, werden, mit einer üppigen Pension beglückt, in den Ruhestand verabschiedet. Vorher gab es kleine paramilitärische Auseinandersetzungen, die von den Medien totgeschwiegen worden, zwischen Anhängern der Front Nationale und der muslimischen Bruderschaft. Am Ende tritt ein Großteil der französischen Elite, die zuvor der Laizistischen Gesellschaftsordnung die Treue geschworen hatten, zum Islam über, um ihre Privilegien zu erhalten und darüber hinaus endlich polygam leben zu können. Das ist alles in allem der grobe Handlungsstrang in diesem Buch.

Was mir an diesem Buch sofort aufgefallen ist, ist die kraftvoller Sprache und manchmal mehr als deutliche Ausdrucksweise, die gerade in den erotischen Passagen sehr eindeutig ist. Das hätte ich eher bei Charlotte Roche erwartet, dennoch ließen mich die meisten dieser freizügigen Passagen eher schmunzeln, so diese hier: „In meinen Zwanzigern, als ich wegen allem Möglichen und manchmal ohne Grund Erektionen bekam, also meine Erektionen gewissermaßen ins Leere gingen, ....“ Erektionen, die ins Leere gehen, diesen Ausdruck muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Darauf muss man als Autor erst einmal kommen. Ich habe herzlich gelacht bei dieser Passage. Auch sonst sind einige Sex-Szenen sehr ausführlich beschrieben und man fragt sich, ob hier nicht ab und zu die sexuellen Präferenzen des Autors durchscheinen. Insgesamt wirken gerade diese Szenen jedoch auf mich auch leicht selbst ironisch.

Houellebecq selbst beschreibt in seinem Roman eher die Zustände in Frankreich und gerade auch in der sogenannten Elite und zeigt schonungslos den morbiden inneren Zustand dieser Gesellschaft an, wenn er schreibt: „ ... sie sind hypnotisiert vom Geld oder vom Konsum wie die Primitivsten, ....; die ernsthaftere und gemäßigtere Mehrheit entwickelt schlicht eine Faszination für Geld, diesem ‚unermüdlichen Proteus’. Noch willenloser sind sie ihrem Drang ausgeliefert, sich zu beweisen, sich einen beneidenswerten Platz ... zu erkämpfen, elektrisiert von der Anbetung austauschbarer Ikonen“ Eine klarere Beschreibung unserer westlichen Konsumwelt habe ich bisher in keinem anderem Roman gelesen.

Wie Houellebecq zu seinem Titel kam, lässt diese Unterhaltung zwischen dem Hauptprotagonisten und dem neuen Universitätspräsidenten erkennen: „Es ist die Kraft der Unterwerfung, sagte Rediger leise. .... dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht. ... der Unterwerfung des Menschen unter Gott, wie sie der Islam anstrebt.“ In dieser Passage versteht man am ehesten was Houellebecq seinen Lesern sagen möchte. Er arbeitet – ohne zu werten – die Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Spannungsfeldern Laizismus und Gottesstaat heraus. Seine Kritik geht eher an die heutige Gesellschaft, die alles erduldet, sich nicht wehrt und keine Gedanken macht, sondern sinn entleert um sich und die eigenen Bedürfnisse wie die Sexualität dreht.

Ist das Buch also Islamophob? In meinen Augen nicht, denn die Protagonisten treten in Scharen über und freuen sich, das es weiterhin genug zu essen, saufen und zu vögeln gibt. Mehr benötigt der Mensch nicht, um sich in sein Schicksal zu fügen. Wie man sich in so einer Situation selbst verhalten würde, wenn der neue Staat dich verführen will mit bis zu drei jungen Ehefrauen und einem hohen Gehalt, dass lässt der Autor seinen Leser selbst entscheiden, er gibt darauf keine Antwort. Dieser Kunstgriff gelingt Houellebecq dadurch, dass er gegen Ende seines Romans vom Indikativ in den Konjunktiv wechselt.

Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, die Sprache ist machtvoll, die Bilder prägnant und die Details stimmig. Die Handlung selbst plätschert eher dahin und ist selten aufgeregt, eher gemächlich. Doch das Buch wirft Fragen auf und ja man soll sich an dem darin beschriebenen Szenario reiben und sich seine eigene Meinung bilden. Houellebecq behält seine Meinung für sich. Das macht die Stärke der französischen Literatur aus, dass sie kraftvoll und geeignet ist, eine Diskussion zu entzünden.

Ich vergebe 4 von 5 Büchern, also sehr lesenswert!

Michel Houellebecq: Unterwerfung
erschienen im Dumont Verlag
ISBN: 978-3-8321-9795-7
Alle oben als Zitate gekennzeichneten Textpassagen entstammen aus dem Buch Unterwerfung und das Copyright daran liegt bei Michel Houellebecq und dem DuMont Verlag

PS: Wer nach der Lektüre des Buches nach den folgenden Sexualpraktiken: „Reise ins gelbe Land“ oder „russische Zarenseife“ googlet erlebt sein blaues – äh gelbes – Wunder. Well done Monsieur Michel Houellebecq.

PSS: Besuchen Sie unsere Verlagsseite unter: www.schwarzbuch-verlag.de


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